FREIE PRESSE vom 28.März 2017

Der mit dem Leben spielt

Ach, der ist das? Ja, der ist das: Der Junge Mann, der in einem Werbespot sich für IKEA auszog. Steven Lange wuchs in Flöha auf und hat dort sein Abitur abgelegt.

Seitdem macht er quasi einen Kalenderspruch nach dem anderen wahr.

Beispiel gefällig? Er träumt nicht sein Leben. Er lebt seine Träume.

Von Thomas Reibetanz

 

Flöha – Sie wollten nach Madrid. Im Sommer 2012 waren Steven Lange und sein Kumpel Richard Friedrich auf dem Festivalgelände in Portugal gestrandet. Mitten in der Wüste. Busse für die Rückreise in die spanische Metropole gab es nicht mehr.

Wie etwa 300 weitere Festivalbesucher auch, suchten die beiden Flöhaer eine Reisemöglichkeit.

Die Lösung Steven Lange und Richard Friedrich eröffneten spontan ihr kleines Reisebüro, nahmen Reservierungen für Busse nach Madrid an, organisierten den Trip telefonisch über eine spanisch sprechende Freundin in Berlin und abenteuerliche Bezahlvorgänge für eine Anzahlung an einen spanischen Busunternehmer, der den Namen von Steven kaum aussprechen konnte. „Das Ende der Geschichte war, dass wir am Morgen der Abreise völlig verkatert auf einem Parkplatz standen, neben uns über 250 Leute, die uns jeweils 60 Euro für ihre Rückreise gegeben hatten“, blickt Steven Lange heute zurück.

„Was soll ich sagen. Die Busse sind tatsächlich gekommen. Und wir haben gut verdient dabei.“

Steven Lange wurde 1984 in Karl-Marx-Stadt geboren. Nach dem Umzug seiner Familie nach Flöha machte er am dortigen Pufendorf-Gymnasium sein Abitur und begann anschließend ein Medizinstudium in Berlin. So weit, so normal. Die Geschichte mit der Busreise in Portugal sollte in den Folgejahren aber nicht die einzige bleiben, bei der so manch einer mit den Augen rollt, der sein kleines bisschen Sicherheit in der eigenen kleinen Welt so zu schätzen gelernt hat.

Das Medizinstudium hat Steven Lange nicht erfolgreich beendet. Wenn er über den Abbruch erzählt, klingt das nicht wie ein Scheitern. Im Gegenteil. Es klingt, als hätte genau das genau so passieren müssen. Damit er sich auf andere Projekte konzentrieren kann. 

Die Gewürzkampagne zum Beispiel.

Gemeinsam mit zwei Freunden aus der Schulzeit, darunter eingangs erwähnter Richard Friedrich, verkaufte Lange von Flöha aus Gewürze direkt aus den Herkunftsländern, die er natürlich auch bereiste. Indien, Spanien, Frankreich, Sri Lanka. Die weite Welt. Die Gewürzkampagne wird mittlerweile von anderen Menschen und von Berlin aus betrieben, weil die Idee nicht geschützt war.„Anfängerfehler“, sagt Richard Friedrich, der jetzt das gleiche Projekt unter dem Namen „Direkt vom Feld“ wieder aufleben lässt.

Aber zurück zu Steven Lange. Der wurde vor fünf Jahren an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin angenommen. Auch diese Ausbildung brach er ab und reiht sich damit in eine Reihe namenhafter Schauspieler wie Manfred Krug, Matthias Schweighöfer und Aylin Tezel ein. Über seinen Ausstieg sagt der junge Mann aus Flöha:

„Am Ende war mir das zu viel Stress.“ Ein Satz, den wohl fast jeder für sich beanspruchen kann, wenn er über seinen Beruf nachgrübelt. Meist gefolgt von der Frage:“ Soll das alles ein?“

Lange hat diese Frage für sich mit einem deutlichen „Nein“ beantwortet. Er wollte mehr. Er wollte raus. Während der Schauspielausbildung hat er mit verschiedenen Werbespots Geld verdient. Für einen südkoreanischen Handyhersteller und für eine österreichische Bierbrauerei wurde er zum Naturburschen, für einen US-amerikanischen Getränkehersteller ließ er sich als Cola von der Orange küssen, für das schwedische Möbelhaus Ikea sortierte er seine Klamotten fein säuberlich in den Schrank, während sich neben ihm eine halbnackte Schönheit auf dem Bett räkelte. Ach, der ist das? Ja, der ist das. Wobei Steven Lange seine Auftritte im deutschen Werbefernsehen mittlerweile als Jugendsünden verkauft. „Als Geldeinnahmequelle ist das nach wie vor wichtig“, sagt er. „Aber wenn man ins ernste Fach wechseln will, irgendwie auch nicht die beste Werbung.“ Das ernste Fach sind bei ihm deutsche Fernsehfilme. Als Titelrolle für die Verfilmung der Lebensgeschichte des Liedermachers Gundermann ist er in der Casting-Endrunde, auch für die Neuverfilmung des Klassikers „Das Boot“hat er gute Chancen, eine Rolle als Maschinenobergefreiter zu bekommen. Derzeit bereitet sich der 32- jährige auf die anstehenden Castings vor, sagt er.

Wenn denn mal Zeit dafür ist.

Denn obwohl sich Steven Lange ganz bewusst gegen Terminpläne und die Hamsterräder dieser Welt entschieden hat, ist er im Grunde immer auf Achse. Von seinem Wohnort Berlin aus geht es nach Leipzig, Hamburg, Indien. Im Auftrag seiner eigenen Ideen. „Schöne Neue Wirklichkeit“ heißt das Gesamtpaket (und auch der Internetauftritt), mit dem der junge Mann die Welt verändern will. Nicht mehr und nicht weniger. „ Wenn ich dazu beitragen kann, dass sich nur ein Mensch besser fühlt, dann habe ich es doch schon geschafft, die Welt besser zu machen.“ Derartige Sprüche standen früher in den Abreißkalendern auf Schreibtischen in Büros ohne Fenster. Damit man den Tag trotz aller Tristesse mit einem Lächeln beginnen möge. Im digitalen Zeitalter werden solche Lebensweisheiten seit Jahren inflationär in den sozialen Netzen gepostet und geteilt. Immer wieder gern genommen:

„Träume nicht dein Leben, lebe deine Träume.“ Meist mit einem Sonnenuntergang über sanften Meereswellen als Hintergrundbild und mindestens einem Ausrufezeichen hinter der Weisheit.

Lebe deine Träume. Klingt romantisch. Wird nur höchst selten in die Tat umgesetzt.

Steven Lange aber macht es einfach. Und wirkt nicht einmal genervt, als auch im Gespräch für dieses Porträt die Frage kommt, die einfach unausweichlich scheint: „Und wer bezahlt das alles?“ Bei der Antwort macht der junge Mann aus seinem Herzen keine Mördergrube – und folgt damit wiederum der Empfehlung eines Abrisskalenders. „Ich habe laufende Kosten, die bezahlt werden müssen. Es gab ganz sicher auch schwierige Zeiten, in denen das Geld knapp war“, sagt er. Bevor er dann konkreter wird, greift Steven Lange noch einmal ganz tief in die Sprüchekiste. „Ich hab in diesen Zeiten aber nicht gejammert, sondern es als Chance für neue Anfänge gesehen.“ Geld verdient Lange unter anderem mit dem sogenannten „Kampagnentisch“. Dabei sucht er eine schöne Location, in die er eine langen Tisch stellt. Dazu gibt es Essen von einem aufstrebenden oder bereits bekannten Koch, vielleicht Musik, vielleicht Literatur. Gute Gespräche in netter Runde. Mit Blick auf einen romantischen See oder über grüne Hügel. Lebe deine Träume. Mit dem Kampagnentisch will Steven Lange bald auch mal in seine Heimat kommen. „Ich suche noch nach dem geeigneten Ort. Untertage wäre vielleicht mal was“, sagt er.

Auch die „Ideenschießbude“ bringt Geld. Gemeinsam mit Fabian Sachsenröder, einem weiteren Kumpel aus der Schulzeit, der mittlerweile als Grafikdesigner in Leipzig arbeitet, bietet Lange seine Dienste an, um Ideen in die Tat umzusetzen. Ein eigenes soziales Netzwerk für eine Firma haben sie dabei schon entworfen. Auch eine Fotobox, die erst auslöst, wenn man sich küsst, wurde erdacht. „Wir sind auf dieser Welt, um zu spielen“, sagt Steven Lange. Und spannt damit den Bogen zu einer weiteren Säule seiner schönen neuen Wirklichkeit.

Mit der „Kosmonautenschule“ will er Menschen das Fliegen lehren, wie er sagt.

„In persönlichen Gesprächen berate ich die Leute und zeige ihnen, dass man auch ohne Ängste und Zwänge leben kann. Und dass man wegkommt von diesem Sicherheitsdenken, das so viele in ihren Köpfen haben.“ In Berlin funktioniere dieses Konzept mittlerweile so gut, dass Lange darüber nachdenkt Geld dafür zu verlangen.„Noch mache ich das kostenlos“, sagt er. „Aber es wird immer zeitintensiver.“

Dass der einstige Gymnasiast aus Flöha, der mit seinen gleichgesinnt-kreativen Freunden schon damals zu den etwas anderen Menschen gehörte, auch noch Schriften eines indischen Yoga-Lehrers ins Deutsche übersetzt, wird bei all den Projekten die Steven Lange einfach mal macht, fast schon zur Nebensache. Dass er sich pro Tag vier Stunden Zeit für Yoga und Meditation nimmt, überrascht nicht. Er hat die Zeit dafür.

„Ich kann jeden Tag vom Mittagstisch aufstehen und spontan nach Australien fahren. Um diese Freiheit geht es mir“, sagt er.

Und wenn er es täte? Wenn er heute Mittag einfach aufstehen und nach Australien fliegen würde, um dort vielleicht auf die nächste verrückte Idee zu kommen oder mal eben 4 Busse für 250 Leute zu organisieren – es würden ihn vielleicht neidische Blicke begleiten.

Der soll erst mal richtig arbeiten lernen. Der wird schon sehen, was ist, wenn er älter wird und nicht mehr so gut aussieht. Solche und ähnliche Sprüche hört man schnell, wenn man über Lebenskünstler wie dem 32-Jährigen spricht. Solche und ähnliche Sprüche stehen nicht auf Abreißkalendern. Weil sie nicht unbedingt für einen fröhlichen Start in den Tag sorgen. Es sei denn, man ist gern frustriert.

Als Steven Lange vor kurzem in der Heimat war, hat er mit einem Kumpel ganz spontan eine Nacht unter freiem Himmel verbracht. „War kalt, aber gut“, sagt er dazu.

Es war eine Nacht von Sonntag zu Montag. In den Betten der umliegenden Häuser haben sich die Menschen nach einem viel zu kurzen Wochenende auf die nächste Arbeitswoche vorbereitet. Damit sie später eine gute Rente haben, hatten sie sich früh schlafen gelegt. Und am Montag voller Spannung das nächste Kalenderblatt abgerissen.